Wählen mit 16 – Große Gefahr oder längst überfällig?

Es ist nun 25 Jahre her, dass Niedersachsen 1996 als erstes Bundesland in Deutschland das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 senkte. Zehn weitere der 16 Bundesländer haben bis heute nachgezogen, so ist es inzwischen auch in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen möglich. Die vier Bundesländer Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein bieten den 16-jährigen zusätzlich an, bei den Landtagswahlen teilzunehmen und die Regierung der jeweiligen Bundesländer mitzubestimmen. Bei der Bundestagswahl gilt aber noch immer deutschlandweit 18 als Wahlalter, was im Wahlkampf noch vor wenigen Wochen ein viel besprochenes Thema war und etwa in Wahl-o-mat und Wahlswiper regelmäßig abgefragt wurde. Ob sich das Wahlalter jetzt bald ändert, steht nun mehrfach zur Frage.

Für eine Senkung des Wahlalters haben sich im Wahlkampf von den im neuen Bundestag vertretenen Parteien SPD, Grüne, FDP, Linke und SSW ausgesprochen, zusammen haben sie 58% der Wählerstimmen bekommen. Dagegen sind CDU, CSU und AfD, die gemeinsam auf 34,4% kommen. Die notwendige Mehrheit im Parlament gibt es also bereits. Vor allem, da aktuell SPD, Grüne und FDP über eine gemeinsame Regierungsbildung verhandeln, sieht es stark danach aus, dass diese Änderung des Wahlrechts bevorsteht, da dann alle Regierungsparteien dafür sind und es problemlos umsetzen könnten. Allerdings ist das nicht die einzige Weise, auf die es zu einer Wahlrechtsreform kommen könnte: Über das Mittel einer Wahlprüfungsbeschwerde gehen noch nicht volljährige Klimaaktivisten aktuell dagegen vor, dass sie bei der Bundestagswahl nicht mitstimmen konnten, sie sehen dies als Verletzung des Wahlrechts einer großen Gruppe von Menschen und arbeiten auf Neuwahlen hin, bei denen ein Wahlalter ab 16 gilt. Darüber wird zuerst der Bundestag und im Fall einer Ablehnung von diesem das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Auf diese Art würde eine Reform sehr beschleunigt und eine Wiederholung der Wahl notwendig.

Was also wird die Basis der Entscheidung über die Wahlprüfungsbehörde sein? Grundsatz ist zunächst eine allgemeine Wahl nach Art.38 I GG, alle Staatsbürger sollen unabhängig von Konfession, Bildung, Geschlecht, Sprache, Einkommen, Beruf oder politischer Überzeugung abstimmen dürfen. Zunächst steht das Wahlrecht also allen zu, auch unabhängig ihres Alters. Dieser Grundsatz kann per Gesetz eingeschränkt werden, wenn das Bundesverfassungsgericht es für gerechtfertigt hält. Die Einschränkung nach Alter ist so alt wie das Wahlrecht selbst, dass es ein Eingriff in das Wahlrecht ist, steht nicht zur Debatte, er wurde aber bisher als gerechtfertigt angenommen. Dass man zu jung sein kann, um vernünftig abzustimmen, ist einleuchtend, ab welchem Alter angenommen wird, dass man eine angemessene Entscheidung für die Zukunft des Landes treffen kann, ist jedoch umstritten.
Eine starre Grenze ist hier generell schwierig. Man kann als 16-Jähriger wesentlich informierter und bedachter wählen kann als manch ein 18-Jähriger. Gleichzeitig erfolgt ein Teil der mentalen und persönlichen Entwicklung aber auch noch in den Jahren zwischen 16 und 18. Eine Einzelfallentscheidung wäre wesentlich geeigneter, ist in der Praxis aber bei weitem zu umständlich, weshalb die Grenze trotzdem akzeptiert wurde. Für eine Absenkung spricht jetzt, dass sich durch Globalisierung und Digitalisierung inzwischen mehr Jugendliche mit Politik auseinandersetzen. In sozialen Medien allein werden sie immer öfter mit politischen Themen konfrontiert, im Internet führen wenig Wege daran vorbei, so politisieren sich die 16-jährigen mehr und sind beim Zeitpunkt der Wahl eher im Bild als damals. Nicht zuletzt durch die wachsende Bedeutung von politischen Themen wie Modernisierung und Klimakrise ist die Einbindung Jugendlicher in den politischen Prozess auch geboten, schließlich werden sie die hauptsächlich Betroffenen der jetzigen Regierungsentscheidungen sein. Entsprechend ist fraglich, ob sich die bisherige Grenze bei gerichtlicher Überprüfung noch halten kann, da die Situation heute anders ist als zur Einführung – im Zweifel muss sich juristisch für das Wahlrecht entschieden werden.

Die Gegner dieser Wahlrechtsreform bringen häufig als Argument an, nach einer Absenkung des Wahlalters müssten Jugendliche auch in anderen Bereichen, etwa bei der Anwendung des Jugendstrafrechts, eher wie Erwachsene behandelt werden. Man könne ihnen nicht gleichzeitig zutrauen, eine Entscheidung über die Zukunft des Landes zu treffen, aber nicht, die Tragweite ihres strafbaren Handelns zu verstehen. Generell können Wahlalter und Volljährigkeit problemlos durch eine Gesetzesänderung voneinander getrennt werden. Es ist also zunächst möglich, das Wahlrecht zu ändern, ohne die 16-jährigen irgendwie anders zu beeinträchtigen. Im Anschluss kann unabhängig darüber entschieden werden, ob Jugendliche nun auch strafrechtlich stärker belangt werden sollen. Die Gründe für eine Absenkung des Wahlalters betreffen vor allem die bessere Informationslage junger Leute, nicht zwingend persönliche Merkmale, weswegen die beiden Änderungen nicht beide gleich begründbar sind, auch ansonsten kann zweiteres aber ernsthaft durchdacht werden und muss nicht zwingend einer Wahlerlaubnis im Weg stehen.

Ob es bald Neuwahlen gibt oder nicht, wird wahrscheinlich das Bundesverfassungsgericht selbst entscheiden. Dass Jugendliche in Zukunft mehr in die politischen Entscheidungen einbezogen werden, ist bei der neuen Zusammensetzung des Bundestagesaber so oder so zu erwarten. Auf welche Art die Reform am Ende vollzogen wird, ob durch die Judikative oder die Legislative, spätestens bei der nächsten Bundestagswahl s0llte man damit rechnen. Bis dahin wird es den 16-jährigen vielleicht auch bei mehr Kommunal- und Landtagswahlen möglich sein, ihre ersten Stimmen abzugeben. Der Wille der Jugend, sich politisch zu beteiligen, steht seit den Demonstrationen gegen die Datenschutzgrundverordnung und für mehr Klimaschutz zumindest nicht mehr zur Frage.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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