Die Ergebnisse der Bundestagswahl – Koalitionschaos vorprogrammiert

Am 26. September 2021 konnten die Bürgerinnen und Bürger von Deutschland nach einem langen Wahlkampf den 20. Deutschen Bundestag gewählt. Wie in den Umfragen zuvor prognostiziert gewann die Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) die meisten Stimmen, etwas knapper als zuvor erwartet folgte darauf die Christlich Demokratische Union (CDU). Die letzten acht Jahre haben diese beiden Parteien gemeinsam regiert, wieder hätte eine Koalition zwischen ihnen eine Mehrheit. Doch beide wünschen sich jetzt ein neues Bündnis – und wer von ihnen in Zukunft das Land führt, ist weiterhin unklar.

Über 25,7% der Stimmen dürfen sich die Sozialdemokraten freuen, das beste Ergebnis bei dieser Wahl, es entspricht 206 der 735 Sitze im neuen Bundestag. Eine Überraschung zumindest im Hinblick darauf, dass sie noch vor wenigen Monaten in den Umfragen hoffnungslos bei 15% festzustecken schienen. Nur ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz gab sich stets optimistisch, nun ist es plötzlich wahrscheinlich, dass er der nächste Kanzler ist. Aber auch Armin Laschet, Kandidat der Christdemokraten, hat das Amt noch nicht aufgegeben, obwohl er im Wahlkampf stark an Zustimmungswerten verlor. Mit 24,1% liegt seine Partei nicht nur klar hinter dem Kontrahenten, ein Verlust von etwa 8% der Wählerstimmen seit der Wahl 2017 macht dies zum schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der beiden Unionsparteien. 5,2% kommen von der Christlich Sozialen Union (CSU), der Schwesterpartei der CDU, die an ihrer Stelle in Bayern antritt, ohne sie hat die CDU 18,9% erreicht. Der CSU stehen 45 Sitze im neuen Bundestag zu, während die CDU 151 erhält. Aus der Sicht des Führungspersonals ist das Ergebnis trotzdem gut genug, um die nächste Regierung anzuführen. Um dies zu tun, wollen sowohl Scholz als auch Laschet eine Koalition mit den Grünen und der Freien Demokratischen Partei (FDP) bilden.
Für die Umweltpartei gilt die Wahl eher als Misserfolg, da sie zwischenzeitlich Aussicht auf einen Wahlsieg mit 28% hatten, am Ende wählten aber nur die Hälfte davon, 14,8%, die Grünen mit ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. 118 Sitze bekommen sie im neuen Parlament, obwohl dies 51 mehr als im letzten Bundestag sind spricht man wegen dem verlorenen Potenzial von einer Niederlage. Trotzdem können Baerbock und der Co-Parteivorsitzende Robert Habeck noch optimistisch sein, da sie zumindest ziemlich sicher mit einer Regierungsbeteiligung rechnen können, ob unter der SPD oder der CDU. Gleiches gilt für die FDP, mit 11,5% ebenfalls besser als bei der letzten Wahl und zukünftig mit 92 Abgeordneten im Parlament vertreten. Die Viertplatzierten können sich genauso sicher sein, dass ohne sie keine Regierung möglich ist, solange SPD und CDU nicht zu einer Fortsetzung der unbeliebten Großen Koalition wieder zusammenfinden.

Das Problem: Sowohl eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP als auch eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP hätte rechnerisch eine Mehrheit. Welche von beiden zukünftig die Regierung stellt, ist auch nach der Wahl noch völlig unklar. Programmatisch haben die Grünen eine klare Nähe zur SPD und die FDP eine klare Nähe zur CDU, entsprechend wünschen sich die beiden unterschiedliche Bündnisse. Da Grüne und FDP am weitesten auseinander liegen, aber für beide Konstellationen zusammenfinden müssen, haben sich Vertreter dieser Parteien bereits für Vorgespräche getroffen, um Gemeinsamkeiten zu finden und Brücken zu bauen, beide machen klare Schritte aufeinander zu und bezeugen ihren Willen, mitzuregieren. Auf die Frage, mit wem, gibt niemand eine klare Antwort, beide Koalitionsmöglichkeiten sollen gleichermaßen ergebnisoffen verhandelt werden, die Sondierungsgespräche sowohl mit der SPD als auch mit der CDU beginnen am Sonntag, den 3. Oktober.
Regierungsbildung hat inzwischen den Ruf, einige Zeit in Anspruch zu nehmen, ob sie noch dieses Jahr abgeschlossen werden kann wird infrage gestellt, aber die Beteiligten wünschen sich alle ein schnelles Zusammenkommen, die bevorstehenden Gespräche werden also darüber entscheiden, ob und wie gut das funktioniert. Was feststeht, ist, dass ein Ampel-Bündnis in der Bevölkerung von allen Optionen am meisten bevorzugt wird, unabhängig davon, welche Gruppe oder Partei man befragt. Selbst in der CDU spricht sich nun etwa die Hälfte gegen eine Regierungsbeteiligung aus, vor allem Laschet als Kanzler will niemand mehr. Die Gespräche darüber, ihn mit CSU-Ministerpräsident Markus Söder zu ersetzen, sind auch nach der Wahl nicht abgeklungen, auch Laschets Rivale aus der CDU Friedrich Merz sagt aus, dass er den Posten des Parteivorsitzenden von Laschet über eine Wahl einnehmen möchte. Ob diese inneren Streitigkeiten einer guten Regierungsbildung nicht im Weg stehen, bleibt offen, Rückhalt hat eine Jamaika-Koalition zumindest nirgends mehr.


©️ vorl. amtl. Ergebnis | Bundeswahlleiter 2021

Fünftplatzierter bei der Wahl ist die rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) mit 10,3%, damit verlieren sie im Bundestag 11 Sitze und kommen nur noch auf 83, den Posten der stärksten Partei in der Opposition verlieren sie damit auf jeden Fall. Ihre eigenen Verluste halten sich aber in Grenzen und sind vor allem durch das Antreten neuer rechter Kleinparteien wie den Freien Wählern oder der Basis bedingt, welche aber wegen der 5%-Hürde selbst nicht in den Bundestag eintreten. Dieses Schicksal hätte auch die Partei die Linke beinahe getroffen, am Wahlabend knabberten sie lange an den 5% und erreichten letztlich nur 4,9%. Das sind eigentlich nicht genug, um in den Bundestag einzuziehen, da Parteien mit weniger als 5% der Wählerstimmen nicht vertreten sein sollen, damit das Parlament nicht mit zu vielen Minderheitsinteressen beschäftigen muss.
Rettung für die Linke war die Sonderregel, dass Parteien, die in drei Wahlkreisen über die Erststimme ein Direktmandat gewinnen können, als wichtig genug angesehen werden, um trotzdem mit weniger als 5% ins Parlament zu kommen. 30 Sitze hat die Partei zukünftig noch dank Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann, die ihre Wahlkreise in Berlin und Leipzig verteidigt haben. Eine weitere Überraschung im neuen Bundestag ist, dass eine weitere Sonderregel noch einer anderen Partei ins Parlament verhilft. Nur 0,1% der Stimmen hat der Südschleswigsche Wählerverband, aber als Minderheitenpartei gilt für sie die 5%-Klausel nicht, so brauchten sie nur genug Stimmen für einen Sitz, das haben sie mit rund 55.000 erreicht und werden künftig nach langer Abwesenheit wieder die dänische Minderheit vertreten.
Das neue Parlament ist also wieder bunter, und klare Mehrheiten hat keine Partei mehr. Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und Union, das am Ende den Wahlkampf bestimmte, hat den kleineren Parteien aber eher geschadet, da der Wunsch, eine dieser beiden Parteien siegen zu sehen, viele Wähler anderer Parteien taktisch hat abstimmen lassen. Dies gilt gleichermaßen für Grüne, SPD und Linke wie für noch kleinere Gruppen, etwa Die PARTEI und Volt. Am meisten konnten wie zuvor erwartet die in Bayern mitregierenden Freien Wähler mitnehmen, mit 2,4% bleiben sie aber hinter den erhofften 3% für eine Beachtung in den regelmäßigen Umfragen zurück, für eine Fraktion im Bundestag müssten sie nochmal doppelt so viele Wähler überzeugen. Der durch den Anstieg des Balkens für Sonstige erwartete Parteiennachschub bleibt also vorerst wohl aus.

Gleichzeitig fanden in Osnabrück die Stichwahlen zur Bestimmung der neuen Oberbürgermeisterin statt. Nachdem zuletzt Katharina Pötter von der CDU und Annette Niermann von den Grünen keine klare Mehrheit im Rennen mit den Kandidaten der anderen Parteien erlangen konnten, konnten sich die Wähler an diesem Termin spezifisch zwischen ihnen entscheiden. Überraschend entschieden sich die Osnabrücker, die vor wenigen Wochen bei den Kommunalwahlen noch eine Ratsmehrheit von Grünen und SPD gewählt hatten, für die CDU-Kandidatin. Katharina Pötter, weit über die Grenzen ihrer Partei beliebt, wird also die nächsten acht Jahre Oberbürgermeisterin der Stadt Osnabrück sein, was zu vielen Konflikten mit dem grün-roten Bündnis im Stadtrat führen dürfte.

Die Regierungsfindung ist also noch in vollem Gange, die Entscheidung der Bürger ist aber getroffen und die gewählten Politiker müssen das Ergebnis in die Praxis umsetzen. Ob die Wähler ihre Stimmen bereuen oder bei zukünftigen Landtags- und Bundestagswahlen ihr Kreuz wieder jemand anderem geben, bleibt abzuwarten, und wird wohl auch von den Leistungen der Parteien in der Regierung abhängen. Eine gute Nachricht für die Demokratie ist aber zumindest, dass die Wahlbeteiligung weiter um 0,4% gestiegen ist und bei über drei Vierteln der Wahlberechtigten liegt, es bleibt zu hoffen, dass alle weiter ihre Stimmen nutzen.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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