Ein Genozid in Gaza? – Das Urteil des IGH

Im Gaza-Streifen schreitet die Militär-Operation von Israel im Rahmen des andauernden “Nahostkonflikts” weiter voran. Dabei ist es zu einer großen Zahl palästinänsischer Opfer gekommen; die Anzahl der bei den Angriffen verletzten und getöteten Zivilisten stetig an. Beide Konfliktparteien erheben aus historischen Gründen Anspruch auf das Land, und wollen, um diesen durchzusetzen, das jeweils andere Volk vertreiben. Aus Angst, dass dabei das militärisch durch Unterstützung der U.S.A. überlegene Israel im Gebiet Gaza einen Völkermord an den Einwohnern in Kauf nimmt, hat Südafrika am 29. Dezember 2023 gegen das Vorgehen des Staates Klage beim Internationalen Gerichtshof (IGH) erhoben. Heute, am 26. Januar 2024, ist der Beschluss gefallen: Israel muss Maßnahmen ergreifen, um einen Genozid zu verhindern.

Der IGH ist das juristische Organ der Vereinten Nationen und hat seinen Sitz im Friedenspalast von Den Haag in den Niederlanden. Hier werden die Entscheidungen von 15 Richtern, die in neunjährigen Zyklen gewählt werden, und je einem zusätzlichen vorübergehenden Richter zur Vertretung der Streitparteien getroffen. In diesem Fall haben sich Dikgang Ernest Moseneke für Südafrika und Aharon Barak für Israel dem Spruchkörper angeschlossen. Die Aufgabe des Gerichts ist es, jeden von einem Land vorgebrachten Rechtsstreit im Einklang mit internationalem Recht zu lösen und beratende Stellungnahmen zu Rechtsfragen von Organen und Agenturen der Vereinten Nationen abzugeben. Südafrika hat den IGH für Ersteres in Anspruch genommen.
Sie haben einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, um im Eilverfahren zu klären, ob Israel in Gaza einen Genozid begeht, um für diesen Fall ein Ende der Militär-Operation anzuordnen. Rechtsgrundlage dafür soll die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes sein, kurz UN-Völkermordkonvention oder im Originaltitel Genocide Convention. Diese wurde 1948 als Reaktion auf den Genozid an Juden während des zweiten Weltkriegs, auch Holocaust genannt, beschlossen und trat 1951 offiziell in Kraft. Sowohl Israel als auch Palästina haben sie inzwischen unterschrieben. Aufgrund ihres Existenzgrundes hat es eine gewisse Ironie, dass nun der einzige jüdische Staat es ist, dem ein Verstoß gegen die Konvention vorgeworfen wird.

Am 11. und 12. Januar wurde eine öffentliche Verhandlung über den Antrag abgehalten. In dieser hat sich Deutschland als Wiedergutmachungsversuch für seinen Völkermord an den Juden der Verteidigung des jüdischen Staats Israel angeschlossen. Das Urteil lautet nun aber, dass Gaza der Gefahr eines Völkermordes durch Israel ausgesetzt ist, und Israel dagegen Maßnahmen ergreifen muss. Die Richter waren sich mit Ausnahme der Richterin von Uganda und des Richters von Israel einig. Zwar haben sie vorerst auf eine Entscheidung darüber, ob das israelische Militär bereits einen Genozid begeht, verzichtet. Weitgehende Einigkeit bestand aber bezüglich der Gefahr eines solchen und den notwendigen Schritten.
Mit Ausnahme der bereits oben genannten Parteien stimmten alle den folgenden Punkten zu: Israel hat konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um das Töten oder Verletzen der Bewohner von Gaza sowie sonstige Umstände, die eine Zerstörung des Volkes zur Folge haben, zu vermeiden. Die israelische Regierung hat unverzüglich zu veranlassen, dass keine der genannten Akte vom Militär verübt werden. Sie hat ferner Beweise zu schützen, die vor Gericht für den Beleg, dass Israel einen Genozid begeht, vorgebracht werden könnten. Innerhalb des nächsten Monats hat sie einen Bericht über alle Schritte beim Gericht einzureichen, die zur Umsetzung des Beschlusses vorgenommen werden. Auch der Richter für Israel stimmte desweiteren zu, dass das Land zu Maßnahmen verpflichtet wird, um Aufrufe zum Völkermord in Gaza zu verhindern und zu bestrafen, und um humanitäre Hilfe für die Palästinänser zu ermöglichen.

Ein Urteil darüber, ob das Vorgehen Israels als Völkermord im Sinne der Konvention zu werten ist, wird noch folgen, da es sich hierbei nur um den Eilrechtsschutz für Gaza handelt, während ein ordentliches Verfahren über die aufgeworfenen Fragen länger dauert. Aus der Forderung eines Berichts ergibt sich außerdem, dass die israelische Regierung einen Monat Zeit bekommt, um dem Beschluss Folge zu leisten, bevor im Falle des Zuwiderhandelns weitere rechtliche Schritte ergriffen werden.
Ob die angeklagte Partei bereit ist, die Entscheidung des Gerichts anzuerkennen, ist allerdings fraglich. Trotz der Tatsache, dass der Richter für Israel teilweise zugestimmt hat, haben Vertreter der angesprochenen Regierung bereits behauptet, der Beschluss sei gefährlich für den Fortbestand ihres Landes und dürfe nicht befolgt werden. Sie warfen dem internationalen Gericht Antisemitismus, also Vorurteile gegen Juden, vor, und verwiesen darauf, dass der IGH während des Holocaust geschwiegen habe – der tatsächliche Grund dafür ist, dass der IGH erst nach dem zweiten Weltkrieg gegründet worden ist.
Vertreter der, das palästinänsische Militär leitenden Organisation Hamas reagierten auf den für sie vorteilhaften Beschluss mit der Ankündigung, dass sie, sollte der IGH einen Waffenstillstand anordnen, sich daran halten würden, solange Israel es auch täte. Ein Waffenstillstand wird im Beschluss noch nicht explizit bestimmt, die Militär-Operation Israels darf laut der Entscheidung weitergehen, solange sie sich im jetzt vorgeschriebenen und durch internationales Recht gestützten Rahmen hält.

Das Ende des Konflikts wird der Beschluss des IGH also nicht herbeiführen, ob ein Urteil des Spruchkörpers dies könnte bleibt auch unabhängig von der aktuellen Entscheidung fraglich. Die Einschätzung, dass die Sorge um einen Genozid in Gaza berechtigt ist, wird aber wegweisend für zukünftige Urteile sein, und Israel wird in Zukunft aktiv zivile Opfer verhindern müssen – ob die Regierung dies tun wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Es wird jedoch Folgen für sie haben, wenn sie weiterhin die Rechte der Bürger von Palästina verletzen, entweder durch das Gericht oder durch die internationalen Partner, von denen sie abhängig sind. Sollten die U.S.A. kein Veto einlegen, wird erwartet, dass die Vereinten Nationen die Umsetzung des Urteils verpflichtend für weitere Unterstützung machen. Weitere Wendungen im Konflikt sind daher nicht ausgeschlossen.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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