Die Verschlechterung des Angebots – Der Business-Plan von Streaming-Plattformen

Das sogenannte “Account-Sharing” galt bis letztes Jahr als standardmäßige Option für Kunden von Streaming-Plattformen. Dabei geht es um die gemeinsame Nutzung eines Accounts auf Netflix, Amazon Prime Video und co. mit Personen außerhalb des eigenen Haushalts. Es hat ausgereicht, dass eine Person die monatliche Gebühr für ein Abonnement zahlt, dann konnte jeder, mit dem sie das Passwort teilt, frei auf die Bibliothek des jeweiligen Streaming-Dienstes zugreifen. Doch Disney+ ist nun schon die zweite Plattform nach Netflix, die ankündigt, aktiv gegen Account-Sharing vorzugehen – und damit quasi ihr Angebot zu verschlechtern.

Gerade Netflix hat zu seiner Entstehungszeit explizit mit der Möglichkeit des Account-Sharing geworben. Es mochte zuerst wie ein Verlust scheinen, da Personen, die Interesse an einem Account hatten, nicht dafür zahlen mussten, wenn ein anderer Kunde sein Passwort mit ihnen teilt. Größer war aber wohl der Gewinn durch Gruppen, aus denen sich kein Einzelner allein für sich das Abo geleistet hatte, die aber für einen geteilten Account bereit waren, zu zahlen. Es handelt sich insofern um einen Vorteil für die Kunden, die den Zugriff auf die Streaming-Bibliothek gemeinsam günstiger erhalten, und einen Vorteil für den Anbieter, dessen Hauptziel eine möglichst hohe Mitgliederzahl ist. Für den Nutzer von Netflix ist es ein Nachteil, wenn Personen außerhalb des Haushalts nicht mehr auf den Account zugreifen können und entweder auf den Dienst verzichten oder selbst zahlen müssen. Und für Netflix selbst?
Der kundenfeindliche Schritt scheint sich für die Firma ausgezahlt haben, denn nach der Umstellung gegen Ende von 2023 hat sich die Zahl der zahlenden Abonnenten nicht etwa verringert, sie ist sogar um ca. 13% gestiegen. Zwar werden wohl manche ihr Abo aufgrund des schlechteren Angebots gekündigt haben. Es überwiegt allerdings die Zahl derer, die zuvor den Account eines anderen mitgenutzt haben und nun bereit waren, für ihren eigenen zu bezahlen. Dafür bietet Netflix ein neues Preismodell: Personen, die zuvor einen Account geteilt haben, können 5€ extra zahlen, um einen neuen Account zu erhalten, der außerhalb des Haushalts vom alten Abo-Inhaber genutzt werden kann – aber nur auf einem Gerät. Der Preis entspricht dabei dem eines Abonnements zu einem geringeren Preis, aber mit Werbeanzeigen bei der Nutzung.
Welche Geräte zum Haushalt des Account-Besitzers gehören, richtet sich nach der Internetverbindung. Geräte, die hauptsächlich mit demselben WLAN verbunden sind wie das, auf welchem der Account seinen Ursprung hat, dürfen letzteren weiterhin nutzen. Alle anderen hindert Netflix am Zugriff auf die bisher verfügbaren Inhalte, bis für einen eigenen Zugang bezahlt wird. Während noch nichts genaues bekannt ist, wurde angekündigt, dass Disney+ ein ähnliches System mit ähnlichem Preismodell nutzen wird, sobald das Verbot von Account-Sharing ab August auch von der zweiten Plattform umgesetzt wird. Es ist naheliegend, dass die Verantwortlichen den Schritt von Netflix beobachtet haben, und ihn wegen des scheinbaren Erfolges kopieren. Gleichzeitig betrifft dies aber nur die Zeit, zu der das Angebot verschlechtert wird – dass es verschlechtert wird, war von Beginn an geplant.

Denn alle Streaming-Dienste starten als Verlustgeschäft. Die Betriebskosten sind höher als die Einnahmen durch Mitgliedschaftszahlungen. Das Ziel ist nicht, Gewinn zu generieren, sondern so viele zahlende Abonnenten wie möglich zu sammeln. Dafür wird ein möglichst günstiges Angebot gemacht, mit dem Plan, es später zu verschlechtern. Wenn jetzt Account-Sharing verboten wird, werden mehr Leute sich entscheiden, dies hinzunehmen, um den Zugriff auf die Bibliothek, an die sie sich gewöhnt haben, zu behalten. Ähnlich war es auch, als Netflix den Preis erhöht und für weniger zahlende Kunden Werbeanzeigen eingefügt hat, um zusätzlich von den Werbeanzeigen zu verdienen – die Kunden zahlen mehr oder erhalten einen schlechteren Service, der Streaming-Anbieter erhöht seine Einnahmen auf ihre Kosten.
Zunächst mag es ein normales marktwirtschaftliches System sein, dass bei hoher Nachfrage das Angebot für die Kunden verschlechtert wird. Falls das Angebot zu schlecht wird, kann dies mit einer Senkung der Nachfrage beantwortet werden, damit das Angebot wieder verbessert werden muss. Im Fall von Netflix ist die Nachfrage weiter gestiegen, was gegen die Notwendigkeit eines besseren Angebots spräche. Für Streaming gibt es jedoch keinen solchen normalen Markt, sondern einen Monopolmarkt – zwar hat keine Firma ein Monopol auf Streaming an sich, aber jede Streaming-Plattform hat ein Monopol auf die in ihrer Bibliothek erhaltenen Serien und Filme. Es ist schwieriger, Netflix und andere Anbieter für ein schlechtes Angebot zu bestrafen, da es das einzige Angebot ist – wer bestimmte Serien oder Filme streamen will, kann nicht von Disney+ auf einen Konkurrenten wechseln.
Normalerweise könnte ein Konkurrent auf dem Markt ein besseres Angebot machen, um die Kunden für sich zu gewinnen, und andere Firmen auf dem Markt müssten nachziehen, bis sich das Angebot auf einem aufrechterhaltbaren aber kundenanziehenden Level einpendelt. Ohne das Recht an Marken wie Star Wars und Marvel ist es aber nicht möglich, direkt in Konkurrenz zu Disney+ zu treten. Und sobald Konkurrenz keine Gefahr für den Erfolg mehr ist, steht nichts der Verschlechterung des Angebots zur Gewinnerhöhung im Weg. Dies betrifft nicht bloß das Streaming-Geschäft, sondern immer mehr Sektoren: Amazons Lieferdienst begann mit Preisen, bei denen Verlust einberechnet war, um Konkurrenten zum Aufgeben zu zwingen, bis Gewinn durch die Marktherrschaft erwirtschaftet werden kann, die sie heute unbestritten innehaben. Gleiches ist Teil des Plans der Firma Temu, die aktuell daran arbeitet.

In den kommenden Jahren werden wegen dem Erfolg dieses Systems zunehmend mehr Angebote, die für uns zum alltäglichen Leben gehören, sich verschlechtern. Märkte, die ihrer Natur nach oder wegen aggressiv guten Angeboten eines Marktteilnehmers keinen Raum für Konkurrenz haben, erlauben es den Firmen, auf Kosten der Kunden durch immer schlechtere Angebote immer mehr zu verdienen. Dabei wird gezielt eine Bindung mit dem angebotenen Dienst hergestellt, sodass es schwieriger für die Nutzer wird, sich bei Verschlechterungen davon zu trennen. Es wird deshalb bald nötig werden, sich von immer mehr, an das sich schon gewöhnt wurde, wieder zu trennen – oder den hohen Preis zu zahlen.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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