Die Sprachpolizei und das Framing

10.000 Leute haben in Hamburg eine Petition unterschrieben, um den Menschen der Stadt vorzuschreiben, wie sie zu schreiben haben. In der aktuellen Debatte wird mit dieser Aussage verbunden, dass gendergerechte Sprache – eine Schreibweise, die alle Geschlechter ansprechen soll statt das generischen Maskulinum zu verwenden – verwendet werden soll. Aber einen Versuch, gendergerechte Sprache verpflichtend zu machen, hat es nie gegeben. Die Petition hat das Ziel, in öffentlichen Texten gendern zu verbieten. Das wirft die Frage auf, wer wirklich die ‘Sprachpolizei’ ist, und welchen Einfluss Framing, also das Verbinden von Wörtern, Themen und Positionen mit bestimmten Bildern, die den Leser oder Hörer in eine bestimmte Stimmung versetzen auf die Debatte hat.

In der deutschen Sprache ist es seit jeher üblich, die maskuline Form eines Wortes wie “Schüler” auch zu verwenden, um die Gesamtheit einer Gruppe anzusprechen, Schülerinnen sind dann mitgemeint. Weil wissenschaftliche Studien wiederholt gezeigt haben, dass sich Frauen eher angesprochen fühlen, wenn sie explizit mitgenannt werden, haben es sich einige staatliche und private Stellen zur Aufgabe gemacht, ihre Sprache anzupassen. Dies geht auf verschiedene Weisen, meist ist inzwischen von “Schüler und Schülerinnen” die Rede, zum Beispiel mit “SchülerInnen” wird dies verkürzt und mit “Schüler*innen” wird auch die Gruppe der sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnenden Menschen angesprochen. Positive Auswirkungen hat dies zum Beispiel in Stellenanzeigen, es bewerben sich messbar mehr Frauen auf Aushänge, welche gendergerechte Sprache nutzen.
Dies basierte generell auf freiwilliger Basis. Anders als bei der letzten Rechtschreibreform wird keine Sprech- und Schreibweise hier als richtig oder falsch angesehen. Dennoch ist dadurch eine heftige Debatte entbrannt, ob das nicht bloß umständlich oder doch hilfreich sei. Viele nehmen an, sie würden zu gendergerechter Sprache gezwungen, selbst wenn sie niemals als verpflichtend vorgesehen war. Der Begriff der ‘Sprachpolizei’ wurde eingeführt, um negativ über Personen zu sprechen, die sich für gendergerechte Sprache einsetzen. Das Thema wurde politisiert und die politischen Parteien bezogen Stellung zu einer möglichen verpflichtenden Einführung, nach der eigentlich keiner gefragt hatte. Insbesondere die Christlich Demokratische Union (CDU) und die Alternative für Deutschland (AfD) haben gendergerechte Sprache zu einem ihrer Hauptthemen gemacht und sie strikt abgelehnt.

Im August 2022 hat der CDU-Ortsverband Hamburg, derzeit in der Opposition des Stadtrats, sich für ein Verbot gendergerechter Sprachen für Behörden ausgesprochen. Eine Gruppe von Bürgern schließt sich dieser Forderung an und hat Unterschriften gesammelt, um durch einen Einwohnerantrag den Stadtrat über ein Verbot abstimmen zu lassen. Die 10.000 notwendigen Unterstützer haben sich offenbar gefunden, bisher wurden die Unterschriften aber noch nicht abgegeben. Als Grund geben die Organisatoren an, mit einer klaren Ablehnung des Verbots in der Abstimmung zu rechnen. Sie wollen deshalb zunächst 65.000 Signaturen zusammenbekommen, um nach der zu erwartenden Niederlage weitere Schritte einleiten zu können. Mit genügend Unterschriften lässt sich im Rahmen eines Bürgerbegehrens fordern, dass der Stadtrat eine Abstimmung unter allen Bürgern über das Thema organisiert. Davon wird sich das Ergebnis erhofft, die Möglichkeit zu gendern abzuschaffen.

Wenn es also kein Bestreben gibt, gendergerechte Sprache verpflichtend zu machen, wohl aber eines zum Verbot von solcher, warum wird dann bei ‘Sprachpolizei’ an Leute gedacht, die sich für freiwillige Nutzung gendergerechter Sprache einsetzen? Der Grund dafür ist so genanntes Framing. Gendergerechte Sprache wird durch wiederholtes Nutzen des Wortes ‘Sprachpolizei’ in diesem Zusammenhang mit Überprüfung, Strenge und zwanghafter Durchsetzung verbunden. Gleichzeitig kann sie als übertrieben dargestellt werden, denn bei Polizei wird an die Verfolgung von Straftaten gedacht, was bei bloßer Sprechweise natürlich übertrieben scheint. Ohne es explizit aussprechen zu müssen, vielleicht sogar ohne dass der Empfänger es wahrnimmt, kann ein negatives Bild von gendergerechter Sprache erzeugt werden. Sie wird dadurch als etwas wahrgenommen, was zu Unrecht aufgezwungen wird, obwohl das nie tatsächlich der Fall war.
Ein weiteres Beispiel für Framing sind die Begriffe ‘Flüchtlingswelle’ und ‘Flüchtlingskrise’, womit 2015 die Menschen beschrieben wurden, die aus Kriegsgebieten nach Deutschland gekommen sind, um Zuflucht zu suchen. Mit dem Begriff ‘Welle’ wird das Bild einer Naturgewalt abgerufen, die überschwemmt und umreißt, was sie trifft. Mit dem Begriff ‘Krise’ werden die Flüchtlinge mit Problemen verbunden, mit einem dauerhaften Zustand des Leids. In der Realität waren es Menschen, die Hilfe brauchten, keine Naturgewalt und kein Problem an sich, wobei gestritten werden kann, ob die Handhabung der Situation zu Problemen geführt hat. Ähnlich hat Trump den Begriff der ‘Fake News’, also ‘falschen Nachrichten’ geprägt, um negative Berichterstattung über ihn wie Lügen aussehen zu lassen. Die Partei der Grünen wird von der CDU gern ‘Verbotspartei’ genannt, obwohl alle Parteien gleichermaßen Verbote fordern, hier etwa fordert die CDU das Verbot gendergerechter Sprache.
Prominent ist auch der Versuch der Impfgegner, sich als ‘Querdenker’ zu framen. Sie hatten beabsichtigt, sich mit historischen Persönlichkeiten zu verbinden, die für ihre Intelligenz Berühmtheit erlangt hatten. Stattdessen wird nun der Begriff ‘Querdenker’ nicht mehr mit einer Denkweise verbunden, sondern mit Verschwörungstheorien und Wissenschaftsleugnung. Erfolgreicher war ihre Technik, die zu dieser Zeit verbotenen Demonstrationen als ‘Spaziergänge’ zu framen, um sie harmlos wirken zu lassen. In ihnen lag ein klarer Gesetzesbruch und sie waren oft mit Ausartungen verbunden, dies ging allerdings wegen dem Framing eher unter.

Framing ist insgesamt ein unschätzbares Mittel in der Politik, um die öffentliche Meinung zu lenken. Politiker aller Parteien und Richtungen nutzen dieses rhethorische Mittel, um Emotionen in den Zuhörern auszulösen und sie so unabhängig von Fakten überzeugen zu können. Da uns Framing regelmäßig im Alltag begegnet, ist es schwierig, jeder Einflussnahme auszuweichen, sei es nur Werbung, die ein Produkt mit glücklichen Kindern verbindet, um Kunden zu überzeugen. Schon wie viel Aufmerksamkeit einem Thema zukommt, kann Framing bezüglich seiner Bedeutung sein. Etwa die Bedeutung freiwilliger gendergerechter Sprache wurde in den letzten Jahren massiv überspielt, wozu auch dieser Artikel beiträgt. Insofern kann die Technik auch nützlich sein, um einem wichtigen Thema mehr Aufmerksamkeit zu geben oder Unterstützung für notwendige Maßnahmen zu gewinnen. Debatten werden durch Framing allerdings von Fakten entfernt und teils begründeten, teils unbegründeten Gefühlen überlassen. Es ist darum wichtig, die sprachlichen Tricks von öffentlichen Sprechern zu erkennen und sich nicht unbewusst von ihnen mitreißen zu lassen, so wie es für öffentliche Sprecher jeder Seite wichtig ist, selbst Framing nutzen und das der Gegenseite entwaffnen zu können.

Ob das Bestreben der Gruppe in Hamburg, die ‘Sprachpolizei’ zu sein, Erfolg haben wird, ist bis jetzt offen. Es ist unabhängig davon nicht zu unterschätzen, dass ein simples Framing 10.000 Bürger einer Stadt überzeugen konnte, für das Verbot einer freiwilligen Sprachanpassung zu stimmen, die nach Studien positive Auswirkungen hat. Wie viele dieser Bürger sich dabei wie Freiheitskämpfer fühlen, obwohl sie es sind, die Freiheit mit dem Verbot einschränken wollen, ist offen. Es wird deshalb immer wichtiger, über Framing zu lernen und zu üben, es in öffentlichen Debatten zu erkennen und eine Meinung unabhängig von Bildern zu formen. Wegen des Erfolgs der Methoden ist mit gehäufter Anwendung zu rechnen, was positive wie negative Folgen je nach Zweck und Sichtweise haben kann. Unsachliche Entscheidungen sollten aber auf jeden Fall vermieden werden.

 

 

Bildquelle: https://pixabay.com/photos/hamburg-speicherstadt-channel-4570577/

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen