Pokemon Karmesin und Purpur – guter Inhalt, wenn die Technik mitspielt

Pokemon-Fans dürfen sich weiterhin jeden November über ein neues Hauptspiel freuen, und auch 2022 hat das Entwicklerstudio GameFreak den Trend fortgesetzt. Pokemon Karmesin und Purpur läuten die neunte Generation der Pokemon-Spiele ein und fügen 103 neue Pokemon hinzu, womit es jetzt über 1000 verschiedene Arten der Taschenmonster gibt. Und dies ist nicht der einzige erreichte Meilenstein: Es handelt sich gleichzeitig um den ersten Open-World-Titel der Serie. Es geht darum, zu zeigen, ob sich eine von Anfang an frei erkundbare Spielwelt für Pokemon anbietet.

Wie üblich beginnt der Spieler in seinem Haus, und die Mutter des Charakters ruft ihn aus dem Zimmer, damit er sein Starter-Pokemon entgegennehmen kann. Noch bevor man die Küche erreicht, verhakt sich die Kamera und erlaubt kein Entkommen aus der Ecke mehr, noch bevor man das Haus verlässt, stürzt das Spiel mit Blackscreen ab, noch bevor man sich draußen frei bewegen kann wird eine Zwischensequenz abgespielt, in der man wegen eines Whitescreens nichts sieht. Technisch gesehen sind die neuen Pokemon-Spiele somit ein noch größeres Wrack, als Pokemon Legenden: Arceus, Strahlender Diamant und Leuchtende Perle sowie Schwert und Schild es waren.
Die Erfahrung ist für jeden Spieler anders, aber für niemanden besser als annehmbar, und während die genannten Probleme zu Beginn am häufigsten auftreten, kann es zu jedem Zeitpunkt zu einem Glitch, Kamerafehler oder Spielabsturz kommen. Und das liegt sicher nicht an überzeugender Grafik, Framerate oder Renderdistanz – alles sieht bestenfalls okay aus, bewegt sich stockend und wird erst sichtbar, wenn man ihm nah genug kommt. Die sich frei in der Welt bewegenden Pokemon sind eine Stärke des Spiels und wesentlich besser als die zuvor zufällig im Gras aufploppenden Begegnungen, doch dies zu ermöglichen hat die Entwickler offenbar überfordert.

Die unfertige Technik beeinflusst die Spielerfahrung merklich und lässt sich nur mit Mühe ignorieren, da sie sich zu jeder Zeit aufdrängt. Zum Glück bleibt es die größte Schwäche des Spiels. Das freie Erkunden der geographisch und kulturell an Spanien angelehnten Paldea-Region erweist sich als spaßig, die offene Welt fügt sich perfekt in das übliche Pokemon-System ein. An jeder Ecke gibt es Items zu finden, die das Erkunden belohnen. Diese sind meist nicht sonderlich bedeutsam, weswegen das Konzept eher für Spieler geeignet ist, die in Erkundung intrinsischen Spaß finden, für diese funktioniert es allerdings gut. Problematisch ist, dass alle Items, sowohl sichtbare als auch am Boden versteckte, nach einer Weile immer wieder erscheinen, womit man kaum erkennen kann, in welchen Winkeln man bereits war und in welchen nicht. Da das Spiel durch Erlangen von immer mehr Fähigkeiten zum erneuten Besuchen alter Orte ermutigt, ist das eher ein Nachteil, da es sowieso genug Items gibt.
Besagte Fähigkeiten kommen vom legendären Pokemon der jeweiligen Edition, Koraidon in Karmesin und Miraidon in Purpur. Es schließt sich dem Spieler zu Beginn der Reise geschwächt an und erlangt im Verlauf immer mehr seiner Kräfte zurück, die das Durchqueren der Ebenen, Gebirge, Wälder und co. stetig einfacher machen. Eines der Ziele neben freiem Erkunden ist, ihm zu alter Stärke zu verhelfen. Dies geschieht indirekt über das Besiegen der fünf Herrscher-Pokemon, die sich über Paldea verteilt haben. Wie üblich gibt es wieder acht Arenen, welche man meistern muss, um zur Pokemon-Liga zugelassen zu werden. Und auch die fünf Bosse von Team Star haben Basen an abgelegenen Orten errichtet, und müssen aufgehalten werden, da von ihnen Mobbing der anderen Akademie-Schülern auszugehen scheint. Insgesamt gibt es damit einen Bosskampf gegen jeden der 18 Pokemon-Typen, weswegen Pokemon-Vielfalt für den Spieler wichtiger denn je wird.
Zusammengebunden werden die drei Handlungsstränge von der Akademie der Region, welche für alle Schüler im Rahmen der freien Projektarbeit eien Schatzsuche ausrichtet, zu der die Arenen, die Jagd nach den Herrschern und der Kampf gegen Team Star gehören. Zu jeder Zeit kann der Spieler an die Schule zurückkehren und sich dort den Unterricht ansehen, wodurch große Teile des Tutorials optional angeboten und interessant verpackt werden. Nebenaktivitäten wie das Picknick mit dem Pokemon-Team und das Antreten in Tera-Raids werden so gut erklärt, ohne aufgedrängt zu werden.

Die Tera-Kristallisierung ist die Kampfmechanik der neunten Generation, welche im Schatten von Mega-Entwicklungen, Z-Angriffen und Dynamaximierung steht. Wieder kann jedes Pokemon sie nutzen und durch sie dieses Mal seinen bisherigen Typen durch einen anderen ersetzen, was seine Schwächen ändert und Angriffe dieses Typs verstärkt. Dadurch lässt sich das Blatt in einem Kampf schnell wenden und viele neue Spielstrategien werden gefördert, was vor allem auf die Online-Kämpfe großen Einfluss nimmt. Auf die Schwierigkeit des Spiels hat es insgesamt wenig Einfluss, die Gegner nutzen es eher vorhersehbar, wenn auch teilweise mit guten Kombinationen.
Die Pokemon-Teams der Gegner sind überwiegend gelungen zusammengestellt und bieten eine gute Herausforderung, sofern man von den Leveln her gleichauf ist. Unglücklicherweise sind die Level festgesetzt, anstatt sich dem Spielfortschritt anzupassen, weshalb es einen vorgegebenen Weg gibt, durch die “offene” Welt zu reisen, sofern man nicht besonders schwere oder lächerlich einfache Kämpfe haben möchte, weil man mit einem zu niedrig oder zu hoch gelevelten Team in ein Gebiet geht. Es ist zu begrüßen, dass der Spieler sich selbst aussuchen kann, wie groß die Herausforderung sein soll, wobei dies dadurch eingeschränkt wird, dass die größten Herausforderungen zwar an den Anfang gezogen werden können, dadurch aber die zu Beginn vielleicht noch anspruchsvollen Kämpfe zu sehr vereinfacht werden. Letztlich ist aber hauptsächlich die Freiheit dadurch eingeschränkt, dass man entweder der gewollten Reihenfolge nachgeht oder auf Probleme in beide Richtungen stößt.

Und die Spielerfahrung lässt sich gut dadurch zusammenfassen, dass es viel Spielspaß in Pokemon Karmesin und Purpur gibt, wenn man nicht auf technische oder organisatorische Probleme stößt. Es drängt sich auf, dass es sich um hervorragende Spiele handeln könnte, wenn die Entwickler nicht gezwungen worden wären, das Spiel schon November 2022 zu veröffentlichen, wodurch keine Zeit für notwendige Fehlerüberprüfung blieb. Und auch in den Wochen nach Erscheinen kamen keine großen Verbesserungen über Updates und Patches, vermutlich weil das Team schon am nächsten Titel arbeiten muss. Es lässt sich vieles über Karmesin und Purpur loben, aber auch vieles noch verbessern. Während das Open World-Format sicherlich die Zukunft von Pokemon sein kann, wird es Zeit, dass die Spiele die Entwicklungszeit bekommen, die sie brauchen, anstatt in regelmäßigem Zyklus auf den Markt geschmissen zu werden.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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