Abschluss der Sondierungen – Grüne Ampel für die Ampel-Koalition

“Mir fehlt die Fantasie”, sagte Christian Lindner, Parteivorsitzender der Freien Demokratischen Partei (FDP), im Wahlkampf immer, wenn man ihn nach einer Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD) und Bündnis 90/Die Grünen fragte. Vor einigen Tagen begann Lindner mit seiner Partei Sondierungen zur Vorbereitung der Bildung einer solchen ‘Ampel’-Koalition, mit den Worten, durch die Vorgespräche sei “neue politische Fantasie” entstanden. Am heutigen Freitag, den 15.10.2021, sind die Sondierungen zuende gegangen: Es wird Koalitionsverhandlungen geben.

Wenn nach der Wahl keine Partei die absolute Mehrheit im Parlament hat, wie es in Deutschland schon lange üblich ist, müssen mehrere Parteien zum Regieren Koalitionen bilden. Dabei einigen sie sich auf ein gemeinsames Programm für die kommende Legislaturperiode, das sie mit der Legitimierung durchsetzen, welche ihnen die Mehrheit gibt, die sie durch das Zusammenlegen ihrer Stimmen haben. Um so eine Koalition zu bilden, führen die Parteien zuerst offene Gespräche miteinander, um zu entscheiden, zwischen welchen Parteien verhandelt wird. Darauf folgen Sondierungen, wobei sich die Parteien, die an einer Koalition beteiligt wären, zusammensetzen. Es geht um das Finden von Gemeinsamkeiten und das Überwinden großer Unterschiede, das Festlegen wichter Anliegen, Ziele und Prioritäten sowie eines Fahrplans, nach dem die Koalitionsverhandlungen verlaufen sollen. In den Koalitionsverhandlungen einigt man sich auf konkrete Maßnahmen, Werte, Methoden, etc., um aufeinander abgestimmt gemeinsam regieren zu können.

In der Vergangenheit bestanden die Koalitionen so gut wie immer aus nur zwei Parteien, zumindest wenn man die Schwesterparteien Christlich-Demokratische Union (CDU) und die Christlich-Soziale Union (CSU) als eine zählt. Nachdem eine Fortführung der aktuell regierenden Großen Koalition aus Union und SPD von beiden Seiten abgelehnt wurde, war nach dem Wahlergebnis schnell klar, dass die nächste Regierung ein Dreierbündnis sein würde. Zur Auswahl stand neben der Ampel zunächst noch die ‘Jamaika’-Koalition aus Union, Grünen und FDP. Die Grünen und die FDP, welche für beide Optionen miteinander auskommen müssen, und zwischen denen laut eigenen Aussagen der Parteien die größten Unterschiede liegen, haben sich zuerst miteinander unterhalten und wohl eine gemeinsame Strategie für die Verhandlungen erarbeitet, um möglichst viele ihrer Anliegen gegen die jeweils stärkeren Partner durchbringen zu können.
Wegen der aktuellen inneren Konflikte in der Union und ihrer inhaltlichen Ideenlosigkeit entschieden sich die beiden “Königsmacher” dann recht früh, sich eher für die Bildung einer Ampel-Koalition einzusetzen. Auch die starken Differenzen zwischen Grünen und Union, die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und die CDU-Politiker, die Informationen aus den vertraulichen Gesprächen an die BILD-Zeitung durchgaben, dürften Jamaika unattraktiv gemacht haben. Die Möglichkeit, auf Verhandlungen darüber zurückzukommen, haben sich Grüne und FDP aber – hauptsächlich als Druckmittel gegen die SPD in den Verhandlungen – offen gehalten. Aktuelle Umfragen zeigten derweil recht eindeutig, dass die Ampel-Koalition die größte Befürwortung in der Gesellschaft hat, auch innerhalb der Parteien, selbst in der CDU waren die Verhältnisse ähnlich. Die Mitglieder der FDP, programmatisch noch näher an der Union, waren laut Umfragen recht ausgeglichen darin, welches Bündnis sie sich wünschen. Die Karten standen so von Anfang an gut für die Ampel, und die Verhandlungen hatten einen guten Start.
In der Öffentlichkeit haben sich die Vertreter von SPD, Grüne und FDP sehr geschlossen und optimistisch präsentiert. Die Sondierungen wurden nun nach knapp zwei Wochen abgeschlossen, ein Sondierungspapier wurde veröffentlicht, um die Ergebnisse zusammenzufassen und die Koalitionsverhandlungen einzuleiten. Wie vorherige öffentliche Auftritte vermittelt das Papier vor allem ein Bild: Das der Professionalität, der offenen Zusammenarbeit und der Einigung zur Verbindung von zuvor getrennten Seiten. Die drei Parteien gehen offensichtlich respektvoll und offen miteinander um und widmen sich der Zusammenarbeit. Die zuvor rohe Diskussionskultur im Land lässt es umso beeindruckender wirken, wie miteinander lösungsorientiert und ergebnisoffen verhandelt wird. Der im Papier enthaltene Ausblick ist hoffnungsvoll und lässt eine gelingende Koalition wahrscheinlich klingen. Thematisch wird darauf geachtet, die Interessen aller Parteien einzubringen, sichtlich ist nichts enthalten, über dass sich die Anhänger von einer der drei Parteien groß aufregen können – so wird auch das Ansehen der Akteure in der Öffentlichkeit gleichermaßen erhalten bleiben oder steigen.

Nach der Wahl hatte die Union eine Jamaika-Koalition, welche ihre einzige Hoffnung darauf blieb, selbst die Regierung anzuführen, als “Zukunftskoalition” geframed. Sie wollten damit der Bevölkerung Glauben machen, dass ein solches Bündnis für die Zukunft stünde. Sicher nicht zufällig nutzen SPD, Grüne und FDP schon auf der ersten Seite für eine Ampel-Koalition den Ausdruck “Fortschrittskoalition”. Die Parallele ist klar, und die Aussage ebenso: Zukunft kommt so oder so, aber Fortschritt wird gemacht. Die drei Parteien machen es sich zum Ziel, aktiv zu gestalten, was sich von der auf Reaktion konzentrierten Politik der letzten Jahre unterscheidet, die Herausforderungen der Zeit sollen hart angegangen und als Chancen genutzt werden. Dass es Deutschland schon nicht schlecht geht wird im Papier auch gelegentlich anerkannt, zufrieden geben will man sich aber gerade nicht, bis Aufgaben wie Klimaschutz und Digitalisierung erfüllt sind.
Neben der klaren Zielsetzung, gemeinsam eine solche progressive Regierung zu bilden, enthält das Sondierungspapier auch den inhaltlichen Plan, auf den sich geeinigt werden konnte. Was die Parteien im Vorhinein als Bedingungen für Regierungsbeteiligung genannt hatten, ist erhalten geblieben. Die SPD wird den versprochenen Mindestlohn von mindestens 12€ durchsetzen und Kommissionen sollen dies weiter im Auge behalten, das Rentenniveau von 48% soll für alle garantiert bleiben, ohne dass das Renteneintrittsalter steigt. Die Grünen konnten als Ziel für den deutschen Kohleausstieg 2030 festlegen, sofern sich dies umsetzen lässt, das Pariser Klimaabkommen wird Leitlinie der Regierung sein, 2% der Landesfläche von Deutschland sollen zukünftig für die Produktion von Windenergie genutzt werden, zusätzlich werden mehr Windkraftanlagen auf dem Wasser an der Küste gebaut. Vor allem in der Landwirtschaft wird eine Förderung von klimaneutraler Arbeitsweise vorgesehen, die es für die Beteiligten attraktiver machen soll, umweltfreundlich zu wirtschaften als umweltschädlich. Die Forderungen der FDP, dass die Schuldenbremse unangetastet bleibt und es für niemanden Steuererhöhungen gibt, konnten sie ebenfalls durchbringen, auch ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen wird es nicht geben. Stattdessen soll das Superabschreibungsprogramm der FDP viele der Pläne finanzieren können, ein Fokus auf Innovation und Förderung kleiner und neuer Unternehmen ist erkennbar.
Außerdem konnten sich die Verhandelnden auf eine Ersetzung des Hartz IV-Systems für Arbeitslosengeld durch ein Bürgergeld einigen. 2035 wurde als Jahr festgesetzt, ab dem keine Autos mit umweltschädlichem Antrieb mehr zugelassen werden, gleichzeitig sollen Elektroautos als hauptsächlicher Ersatz weiter unterstützt und vor allem die Ladesäuleninfrastruktur verbessert werden. Für Verbraucher sollen die Strompreise in Zukunft wieder sinken, während alle Branchen auf die finanziell lohnenswerteren erneuerbaren Energien umgestellt werden. Da alle drei Parteien die Herabsetzung des Wahlalters bei der Bundestagswahl auf 16 unterstützen, ist es wenig überraschend, dass auch dies im Papier steht. Ebenfalls haben sich alle während der Corona-Pandemie für eine Stärkung des Gesundheitssystems und der Pflege ausgesprochen, dies steht entsprechend weit vorn in der Zusammenfassung, ansonsten wird die Pandemie allerdings nicht erwähnt. Schritte zur besseren Integration von Ausländern, zur Förderung von Fachkräftezuwanderung und zur Gleichbehandlung von Personen unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung sollen von der Regierung genommen werden. Außenpolitisch erhoffen sich die Parteien eine Stärkung der EU und Europas in der Welt, sie sprechen sich für Schritte zu einem Initiativrecht im EU-Parlament und einer vereinten EU-Armee aus.

Zusammenfassend zeigt das Sondierungspapier vor allem, dass die drei Parteien, die zuvor noch weit auseinander zu liegen schienen, sich sehr gut einigen können. Wenn die Ampel-Koalition zustande kommt, wonach es nun noch stärker aussieht, wird es eine stabile Regierung sein, in der die Führungskräfte der Parteien professionell und lösungsorientiert zusammenarbeiten. Die Union wird, wie es aussieht, in den nächsten vier Jahren viel Zeit für die inhaltliche und personelle Erneuerung haben, die ihnen von den Wählern und den eigenen Mitgliedern verschrieben wurde. Denn die FDP hat Fantasie gefunden, die Ampel für die Ampel-Koalition steht jetzt auf Grün.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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